Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel by Franziska zu Reventlow
Autor:Franziska zu Reventlow [Reventlow, Franziska zu]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2015-10-08T00:00:00+00:00
Der Tod
Er war tot, und es war ihm unsagbar unangenehm. Die ganze Sache kam ihm so deplaziert und taktlos vor. Von jeher hatte er sich dagegen verwahrt, im Bett zu sterben, und immer aus tiefster Überzeugung behauptet, er würde einmal durch Selbstmord oder Unglücksfall enden.
Nun war ihm die verwünschte Krankheit über den Hals gekommen, man hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihn ins Krankenhaus zu schaffen. Er war einfach in seiner Wohnung liegengeblieben, ein Arzt war gekommen, dann ein zweiter und dritter, eine Krankenschwester, Freunde, Bekannte, Blumen, Verwandte, Weinflaschen – alles, was eben zu kommen pflegt, wenn ein junger Mann aus guter Familie plötzlich schwer krank wird.
Heute mittag, um halb eins, war es dann vorüber, und er starb. Jetzt mochte es ungefähr drei Uhr sein, und er wäre lieber wie sonst ins Café gegangen. Aber da er tot war, ging es nicht mehr. Die Krankenschwester war dageblieben, als alle anderen fortgingen. Er hörte sie hin und her gehen und wurde nervös. Was hatte sie noch in seinem Zimmer zu tun? Womöglich war sie indiskret und stöberte seine Sachen durch. Wie unangenehm, und man konnte es nicht verhindern. Dabei sang sie Choräle vor sich hin – – oh, daß ich tausend Zungen hätte –. Taktlos – sie fühlte sich sichtlich unbeobachtet, sonst hätte sie doch wenigstens ein Sterbelied gesungen, irgend etwas, was auf die Gelegenheit paßate.
Hier und da wurde geschellt, die Schwester ging hinaus, und er hörte sie in verschiedenen Tonarten sagen: 'Der junge Herr ist heute mittag gestorben.' – Es waren anscheinend Lieferantenstimmen, die draußen sprachen – Rechnungen. Zum erstenmal empfand er eine gewisse Genugtuung, als er von seinem Tode sprechen hörte, und es kam eine schadenfrohe Vergnügtheit über ihn. All diese unangenehmen Dinge war er nun wenigstens für immer los, sie konnten nicht mehr an ihn herankommen. Bis vor kurzem hatten sie ihm das Leben ziemlich unangenehm gemacht, er hätte sich schütteln mögen, wenn er daran dachte. Aber er konnte sich nicht mehr schütteln, er war tot.
Ja, er hatte manchmal ernstlich daran gedacht, sich zu erschießen, wenn er sich der Finanzfrage nicht mehr gewachsen fühlte. In früheren Zeiten hatte man ihm von allen Seiten geholfen, damals war er eben noch ein hoffnungsvoller junger Mann, und man hatte erwartet, er würde sich irgendwie 'durchsetzen'. Aber er hatte sich niemals durchgesetzt und wurde allmählich als verlorener Posten betrachtet. Und als verlorener Posten hat man die Verpflichtung, sich selbst herauszureißen oder diskret zu verschwinden. Es wäre auch sicher ein hübscher Effekt gewesen, aber schließlich hatten die anderen mehr davon als man selbst. Und unter den jetzigen Umständen waren das eigentlich zwecklose Betrachtungen.
Es klingelte wieder – aufgeregt und dramatisch. Diesmal war es eine ausgesprochen weibliche Stimme, die mit der Schwester unterhandelte. Natürlich war es Maria. Sie schien eine förmliche Szene zu veranstalten – ach, Maria! Sie konnte ja nicht ohne Szenen existieren, und heute, an seinem Todestage – wer weiß, ob ihr jemals wieder eine solche Gelegenheit geboten würde.
'Was – kein Recht – – Onkel – – ich – – das ist nicht wahr
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